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15.01.2012

Das papierlose Büro

Das papierlose Büro hat ein Problem. Nicht etwa, dass sie den mit Abstand inhaltslosesten aller deutschsprachigen Wikipedia-Einträge hat, was bei der niedrigen Qualität der deutschen Ausgabe schon beachtlich ist. Nein, das Problem ist vielmehr, dass es als Utopie gilt. Nur: Warum eigentlich?
Das Konzept wurde erstmals 1975 in der Businessweek vorgestellt. Seitdem war es eine weit verbreitete Zukunftsvision. Inzwischen ist es ein sprichwörtliches Beispiel für gescheiterte Zukunftsvisionen, quasi das positive Gegenstück zum Waldsterben (zu dem ich andernzeits wohl noch kommen werde). Dabei ist die technische Möglichkeit längst gegeben. Man muss also mal fragen, wieso das papierlose Büro noch nicht gekommen ist.
Sicherlich eine wichtige Sache hierbei ist die Existenz von Unterlagen, die in Papierform vorliegen müssen: Alles, was zur Steuererklärung gehört, also Rechnungen, Quittungen, Bilanzen. Aber davon ab gibt es tonnenweise Zeug, das der Papierform nicht bedarf. Was ist damit?

Der menschliche Faktor
Ein wichtiger Punkt ist sicher, dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist. Mitarbeiter, die das Arbeiten am PC nicht gewohnt sind und auch nicht umlernen können (oder wollen), machen immer noch eine Mehrheit in den Büros aus. Man darf nicht vergessen, dass die flächendeckende Verbreitung von Heimcomputern grade erst 20 Jahre zurückreicht. Zwar gab es davor zwar schon Arbeitscomputer, aber nicht sonderlich viele und meist auch nur in wenigen besonders großen Unternehmen oder bei Firmen, die in diesem Feld arbeiteten. Dann kam eine Zeit der graduellen Verbreitung für Spezialzwecke. Und erst in den 90ern begann die Entwicklung hin zur heutigen Einsatzbreite von PCs.
Als ein Kind der 80er hat unsere Generation das alles sehr beeindruckend mitbekommen: Anfangs gab es noch Schreibmaschinen (und Kohl war Ewiger Kanzler), dann wurden die plötzlich elektronisch (Kohl war immer noch Kanzler) und schließlich kam es zum PC-Boom (und wer ist eigentlich dieser Schröder). Zur Jahrtausendwende schließlich schien es, als habe jeder einen Computer zuhause. Inzwischen hat oft jedes Familienmitglied einen eigenen. Die Plötzlichkeit dieser Entwicklung ist vielen von uns gar nicht mehr bewusst, daher dieser kurze Ausflug.
Selbst jene, die da eigentlich mitgekommen sind, sind längst nicht an die neuen Arbeitsweisen gewöhnt. Mal eine Memo lesen, okay. Aber einen längeren Text? Oder gar eine Tabelle bearbeiten, ohne was draufzukritzeln? Undenkbar.
Sicher, entsprechende Programme gibt es, aber die haben ein ganz simples Problem: Man muss erstmal mit ihnen umgehen können, wenn man ihre Existenz überhaupt mitbekommen hat. Wer die digitale Revolution sehr jung mitbekommen hat oder erst danach geboren ist, für den ist das eine Erkenntnis, zu der man erstmal kommen muss: Die Bedienung eines Computers ist kein grundsätzlich intuitiv erschließbarer Prozess. Das ist ein Talent, das erst jene entwickelt haben, die in die neue Welt hineingewachsen sind.

Die Haltbarkeit der Silberscheiben CDs halten 5 Jahre, heisst es immer. Das ist eines der zentralen theoretischen Hindernisse zur Digitalisierung: Die mangelnde Haltbarkeit der Speichermedien.
Ich frage mich inzwischen ernsthaft, woher diese Behauptung kommt. Vor allem aber, wie derjenige, der sie aufgestellt hat, mit seinen CDs umgegangen sein muss. Ich meine, ich habe eine Menge CDs. Meine ältesten Tonträger sind knappe 30 Jahre alt, die ältesten gebrannten Backups sind von 1999. Und ich habe noch kein einziges Mal erlebt, dass die Daten auf einer dieser CDs defekt wären, wenn sie nicht physisch beschädigt wurde. Das schlimmste Problem ist ab und an mal, dass etwas Staub in die Hülle gekommen ist.
Ja, es gibt Kratzer. Aber die sind auf Unfälle oder unpflegliche Behandlung zurückzuführen. Solche Faktoren in die Haltbarkeit der Datenträger einzubeziehen entspricht dem Vorgehen, bei papiernen Archiven alle paar Jahre mit einem Großbrand zu rechnen. Was wahrscheinlich keiner tut, zumindest sind die meisten Bibliotheken meines Wissens durchaus versichert.

Die Zukunft kommt dennoch
Trotzdem ist es zu früh, das papierlose Büro zu einer Unmöglichkeit zu erklären. Ich habe, von Glückwunschkarten einmal abgesehen, seit Jahre keine private Post in Papierform mehr bekommen. Der größte Papierberg sind bei mir Beratungsunterlagen und auch da gibt es bereits Digitalisierungsbestrebungen, vor allem im Rahmen der Haushaltskonsolidierung (leider macht man sich damit als Politiker auch sehr unbeliebt, wenn die Politiker plötzlich alle Computer bekommen sollen, selbst wenn es sinnvoll wäre). Immerhin wurde der aktuelle Haushalt der Stadt bereits auf einer Mini-CD ausgegeben und nur noch auf Anforderung in Papierform (immerhin zwei prall gefüllte Aktenordner pro Ratsmitglied). Rechnungen kommen noch nicht alle, aber doch ab und an digital. Sonst ist die Post fast 100% Werbung, alles andere kommt per eMail (oder Telefon). Die Steuererklärung geht immerhin teilweise digital raus, nur die Belege müssen weiterhin auf Papier eingereicht werden. Gekauft habe ich Papier zuletzt im November - 2010.
Die papierlose Zukunft ist möglich und greifbar. Wir müssen nur endlich mal damit anfangen statt ständig darauf zu warten, dass sie von selbst kommt. Es liegt nicht an der Vorhersage, ob sie eintrifft, sondern an uns, ob wir sie umsetzen. Zugegeben sei allerdings, dass dies auch die Propheten oft genug vergessen.

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